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Hausbesetzer, Globalisierung, politische Gefangene
und der Dritte Weltkrieg:
Eine Einführung in die Arbeit von Seth Tobocman
und das Magazin World War 3.
Von Sven von Thülen
in: Jungle World, Berlin, Nr. 27/2001 — 27. Juni 2001

Manhattans Lower East Side. für Hunderttausende Immigranten das Tor nach Amerika, über Jahrzehnte Heimat so ziemlich jeder amerikanischen Gegen- und Subkultur. Eine urban warzone im Spannungsfeld aus sozialer Armut, unterschiedlichen kulturellen Identitäten, alternativen Lebensentwürfen und staatlicher Repression.

Ende der siebziger Jahre - Rudolph Giuliani, Luxusmodernisierungen und Häuserkampf waren noch fern - lebte William S. Burroughs hier sozusagen unter Tage in den fensterlosen ehemaligen Umkleidekabinen eines Fitnesscenters; gegenüber im »CBGBs« war gerade Punk entstanden, Bands wie die Ramones, Blondie oder Suicide gaben sich dort die Klinke in die Hand; Jean Michel Basquiat sprühte sich durch New Yorks Alleyways. Eine Umgebung, die auch den damals 20jÄhrigen Seth Tobocman in die Lower East Side lockte.

Diese Gegend biegt sich Tobocman nicht zum romantischen Bohemedorf zurecht. Eher drängen sich ihm hier überall Anzeichen für einen Dritten Weltkrieg auf. Um diese Signale politisch und Künstlerisch umsetzen zu können, gründete er zusammen mit seinem Freund Peter Kuper 1979 das Politcomic- und Kunstmagazin World War 3 Illustrated. Angesichts des weltpolitischen Klimas - Kalter Krieg, kollektive Atomkriegsneurose, ein reaktionärer ehemaliger Schauspieler als Präsident - ein nachvollziehbarer Titel, der das Lebensgefühl vieler Menschen Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger widerspiegelte. So verstand sich World War 3 Illustrated zu Beginn auch als Anti-Kriegsmagazin im klassischen Sinne, das in der Tradition polemischer Politmagazine stand und gleichzeitig ein Kind der Underground-Comicszene der Sechziger und Siebziger war.

Lag der Fokus in den ersten Ausgaben - ganz im Sinne des Konzepts der Gegenöffentlichkeit - vor allem auf weltpolitischen Ereignissen und Entwicklungen, die in den Mainstreammedien meist wenig Beachtung fanden, entdeckten Tobocman, Kuper und die zahlreichen anderen KünstlerInnen schnell die unterschiedlichen weiteren »Kriege«, die sich direkt vor ihrer Haustür abspielten. Egal ob gegen Obdachlose, Hausbesetzer, Frauen oder politische Aktivisten, überall wurde das Moment des Krieges identifiziert und thematisiert.

Dabei ging und geht es den Machern nicht nur darum, Kunst mit politischen Inhalten anzureichern, sondern immer auch um das politische Handeln selbst. Gerade Seth Tobocman kommentiert mit seinen Bildern nicht nur die urban warzone als Künstler. In seinem Buch »War In The Neighborhood« erzählt er die Geschichte der brutalen Räumung einiger besetzter Häuser in der Lower East Side. Als Hausbesetzer hatte er an den sozialen Harten der Gentrification auch direkt teil, so ist er nicht nur Kommentator, sondern auch Teil des Geschehens.

Im Gegensatz zu gleichzeitig entstehenden urbanen Underground-Ästhetiken wie den schnipseligen Punkcollagen oder Graffiti stehen Seth Tobocmans Arbeiten mit ihren linolschnittartigen, großflächigen, kantigen Formen in der Tradition der klassischen Kunstsprache des Expressionismus der zwanziger Jahre. Sie erinnern an Frans Masereel oder Käthe Kollwitz.

Die Großstadt als lebensfeindlicher Moloch mit all seinen sozialen und politischen Auswüchsen steht als Thema meist im Zentrum. Aber auch weltpolitische Themen wie der Widerstand gegen die Globalisierung oder das Schicksal politischer Gefangener (seine erste Anthologie »You Don't Have To Fuck People Over To Survive« widmete er Mumia Abu-Jamal) werden von Tobocman verarbeitet. Dabei schwanken seine Bilder immer zwischen teilweise symbolisch überhöhtem, düsterem Realismus und vereinfachten Anklagen. Die Grundhaltung ist aber nicht larmoyant existenzialistisch, sondern zielt immer auf die Notwendigkeit des Handelns.

Die Selbstironie der Hippies wie bei Robert Crumb oder den Antimoralismus von Punk sucht man hier vergebens. Tobocmans Bilder sind eher der Versuch, einen moralischen Blick auf die Welt zu etablieren, der weder naiv wirkt noch Widerstandsformen und deren Protagonisten Ästhetisch verklärt. Kein Platz für Heldengeschichten.

Trotz ihres Erfolges und des Renommees, das Tobocman, Kuper und Co. sich über die Jahre mit World War 3 Illustrated erarbeitet haben, hat sich an der Redaktionsstruktur und der Arbeitsweise kaum etwas verändert. Noch immer bilden die Mitarbeiter jeder Ausgabe eine bunte Mischung aus KünstlerInnen, CartoonistInnen, politischen AktivistInnen und HausbesetzerInnen. Und nach wie vor wird unentgeltlich gearbeitet. Als Künstlerkollektiv tritt World War 3 Illustrated auch bei politischen Veranstaltungen auf oder liefert Artwork für Benefizveranstaltungen.

In den 22 Jahren des Bestehens haben es Tobocman und seine MitstreiterInnen auf 28 Ausgaben gebracht und dabei einigen Künstlern den Weg zu größerer Bekanntheit geebnet. So wurde zum Beispiel Eric Drookers mit Preisen überschüttete grafische Novelle »Flood« in einer frühen Version zuerst in World War 3 Illustrated veröffentlicht. Die Schwierigkeiten, die man am Anfang hatte, das Magazin in die Läden zu bringen, sind überwunden. World War 3 Illustrated kann man inzwischen bei Tower Records ebenso wie in Kunstbuchhandlungen, alternativen Buchläden oder bei Non-Profit-Kleinstmailordern beziehen.

Den Weg in die etablierte Kunstszene und in die Galerien haben Tobocmans Bilder und Comics aber im Gegensatz zu den Werken einiger seiner Mitstreiter bei World War 3 Illustrated noch nicht so recht gefunden. Oder nicht gesucht? Bezeichnenderweise findet man detaillierte Informationen zu seiner diesjährigen Tour durch Europa auf der Mumia Abu-Jamal-Unterstützerhomepage www.mumia.de.

Wahrscheinlich ist es auch diese Verwurzelung in den verschiedenen Formen des Aktivismus, die Tobocman nicht nur einige Aufenthalte in amerikanischen Gefängnissen eingebracht hat, sondern ihn bei vielen Aktivisten auf Plakaten, T-Shirts und sogar Tätowierungen zu einem der am meisten rezipierten Künstler werden ließ.

Quelle: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/27/15a.htm

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